Das Theaterstück

Gier (Havas)
von Arif Naqvi

 

(Auf der Grundlage der Erzählung 'Eins zu Vier' von Arif  Naqvi
in der Zeitschrift 'Neue Deutsche Literatur' Berlin)

 

Ort: Lucknow in Indien

 

Teilnehmer:

 

Manakram Gupta : Ein  Geschäftsmann
Tularam: Manakrams Sekretär
Shila: Manakrams Tochter
Ramola: Shilas Freundin
Mrs. Jattely: Schuldirektorin
Ajay Sharma: Lehrer
Vier Ärzte
Zwei Kinder
Fernsehansager
Einige Lehrer und Kinder
Kinderchor

 

 

1. Szene

 

(Das Wohnzimmer von Seth Manakram, Besitzer eines Pharmakonzern
Manakram hockt auf einem bequemen Sofa und vor ihm auf einem Tisch liegt ein Stoß Zeitungen. Sein Sekretär Tularam liest aus den Zeitungen.
Im Nebenzimmer summt Shila, die Lieblingstochter Seth Manakrams, beim Anziehen.)

Tularam:
Achtzigjähriger heiratete Minderjährige. Herr, schauen Sie die Zeitung Nayades! Sie schreibt:
Er war ein alter Mann mit schon schwachem Gebiß. Er hatte drei erwachsene Söhne.
Das Mädchen, das er heiratete, war schön wie die Sonne. Am dritten Tag der Hochzeitsfeier aber nahm sie einen der Söhne und ging mit ihm fort.

(Beide Füße Seth Manakrams, die auf dem
Tisch lagen, hoben sich und setzten auf der
Erde auf. Die Muskeln seiner starken Waden
kamen in nervöse Bewegung.  
Munschi Tularam legt die ganze Schwere
seines Körpers auf die Zehen und liest weitere
Zeitungsnachrichten.)

Tularam:
Ein seltsames Kind ist in einem Dorf Rohtaks geboren worden.

(Shila tritt ins Zimmer herein und fragt)

Shila:
Was ist geboren worden, Munschi?

(Die Zeitung wandert aus den Händen Munschi in  ihre).

Shila:
Ach wunderbar, Vater! Die Zukunft unseres Landes muß unbedingt in seinen Händen liegen... Da er vier Köpfe hat, muß er auch vierfachen  Geist haben. Ein Geist wird Ost-, der andere West-, der dritte Nord- und der vierte Süd-Geist. Und damit wird er das ganze Land in Bewegung bringen und tanzen lassen. Mit vier Paar Händen wird er vier verschiedene Arbeiten verrichten.
Mit vier Augenpaaren wird er dieselbe Sache aus vielen Winkeln sehen und mit vier Zungen wird er vier Reden gleichzeitig halten.

(Schiela kann ihr Lächeln nicht unterdrücken.)

Ich stelle mir vor, Vater, dieses Kind wird unser Land in Ordnung bringen, nicht wahr, Munschi!

(Das Gesicht Munschis verzieht sich und die Zähne kommen zum Vorschein).

Munschi Tularam:
Ja mein Kind, die Kandidatur für die Wahl muß ihm gehören

(sagt er und nickt.
Manakram blickt drein, als hätte jemand ein Schimpfwort gesagt. Tiefe Falten treten auf seine Stirn).

Tularam (denkt):  
Hey Gott, ich habe Sethji geärgert. Es sind soviele Falten auf seiner Stirn. Er ist bestimmt sauer. Aber es macht nichts. Diese Falten sind nicht neu. Sie kommen täglich.
Zuerst ist eine, dann sind zwei, dann drei und dann vier und dann verschwinden alle im Nu. Die Entwicklung dieser Falten dauert eine halbe Stunde, ihr Verschwinden nur einen Moment. In solchen Falten liegen alle Geheimnisse des Universums. Gehören sie aber einem reichen Mann, dann sind die Geheimnisse noch geheimnisvoller und wichtiger.

Tularam (zu Manakram):
Aber mein Herr, in  dieser Wahl muß man Ihnen die Kandidatur geben.
Alle anderen sind zu blöd. Sie können weder gut reden noch die Wähler motivieren.

(Munschi Tularam ändert hastig seine Meinung und eine
der Stirnfalten Manakrams verschwindet).

(Man kann von nebenan die lachende Stimme Shilas hören).

(Tularam liest aus der Zeitung weiter):

Tularam:
Und es gibt Überschwemmungen am Ganges, die Stadt Kanpur versinkt.

(Manakram wird nervös, er steht auf)

Tularam:
Der Fluß Gomti steigt, die Stadt Pilibhit ist in Gefahr.

(Manakram beginnt auf und ab zu gehen. Sein Gesicht wird gelb. Er überlegt:)

 

Manakram:
Jetzt werden die Sammler an meine Tür kommen. Das mit Schweiß und Blut verdiente Geld wird von mir geraubt werden. Viele Leute werden kommen und sagen
'Gib uns eine Spende! Im Namen der Frauen und der Kinder, gib Geld!......' Habe ich das Geld gespart, um es zu teilen?
An meiner Tür gibt man den Bettlern täglich Geld. Aber die Sammler...ach ich hasse sie. ..
Die Bettler sagen für jeden Paisa (Geldstück) Schmeicheleien und segnen sie, aber die Sammler reden nur Unsinn für das Geld. Hey Bhagwan, ich spüre, daß die Sammler von überall herkommen werden.

Tularam:
Es ist der richtige Augenblick, Herr. Wenn es in Pilibhit eine Überschwemmung gibt,
dann wird sie morgen in unserer Stadt sein.

Manakram:
Das ist, was ich fürchte, Munschi.

(Manakram ärgert sich).

Wenn die Leute in unserer Stadt in Not sind, werden sie unser Leben zerstören.

Tularam:
Nein Herr, (beginnt Tularam zu erklären)  wenn Sie jetzt Geld geben, werden Sie von vielen ihre Stimme erhalten. Sie brauchen nur einen Teil von dem, was Sie für die Wahl bestimmt haben, den Sammlern geben und Sie werden sehen!

(Der Geist Manakrams beginnt zu arbeiten. Er überlegt)

Manakram:
Wenn die Überschwemmung kommt, dann kommt auch die Krankheit. Und wenn die
Krankheit sich ausbreitet, dann werden die Medikamente aus meinen Fabriken teurer. Die Preise werden steigen, auf das Zweifache, Dreifache, Vierfache und Zehnfache. Die Menschen ...ach wir haben sowieso zuviele Menschen...werden sterben, aber die Geldschränke werden sich füllen.

Tularam:
Herr, Sie werden einer der größten Männer des Landes.

(Manakram träumt:
Ein Berg von Gold und Silber ist um ihn herum. Von allen Seiten setzt ein Geldregen ein. Das Klingen von Münzen ertönt in seinen Ohren.

Seine Gedanken werden unterbrochen. Shilas Freundin Ramola kommt, um sie abzuholen.)

 

Ramola:
Namaste Onkel!...Wo ist die Prinzessin? Will sie nicht heute zur Schule?...He...Shila....Shallo....."

(geht in Shilas Zimmer)

(Manakram träumt weiter vom Geld. Er geht zur Statue der Götin Laxmi, die in einer Ecke steht und betet vor ihr.)

Manakram:
Hey Laxmi Devi, sei nett zu mir . Laß den Gomti noch weiter steigen, hoch bis über die 'Ramsethu' Brücke. Ich werde in deinem Namen noch einen schönen Tempel bauen, der höchste Tempel der Stadt...Laß von überall das Geld regnen, Gold und Silber...

(Shila und Ramola kommen aus dem anderen Zimmer. Shila kommt zu Manaram, küßt seine Wange und sagt:)

Shila:
Wo ist mein Scheck, Daddy?  Es wird in unserer Schule das Geld gesammelt für die Opfer der Überschwemmungen. Du muß auch geben!

Manakram:
Was, Spende...?

Tularam:
Warum nicht, Shila bitiya (Frl.)...dein Vater, Seth ji ist sehr großzügig.

(Shila holt das Scheckheft vom Schreibtisch und legt es vor Manakram. Er unterschreibt es. Shila umarmt Manakram nochmals und geht mit Ramola lachend fort.)

Shila:
Bye bye Daddy!

Ramola:
Bye Onkel, bye bye Munschi ji!

Tularam:
Unsere Schila bitiya (Frl.) ist sehr schön und klug.

Manakram:
Munschi, Shila ist mein Leben. Alles Geld spare ich nur für sie.

 

Tularam:  
Sie ist schön wie Lakschmi, die Göttin des Glücks. ..Wie glücklich wird er sein, in dessen Haus sie als Göttin einziehen wird.

(Manakram kann sich nicht freuen).
Manakram:
Ich kann nicht an eine Trennung von ihr denken. Es sind 13 Jahre her als ihre Mutter starb. Seitdem habe ich sie allein großgezogen...Ihretwegen habe ich nicht wieder geheiratet.

Tularam:
Ja, Herr ...Viele Nächte haben Sie ihretwegen nicht geschlafen. Sie sind ihr nicht nur Vater, sondern auch zugleich Mutter.

Manakram:
Wie kann ich an eine Trennung von ihr denken. Shila, der meine ganze Liebe gilt. Shila, die Schöne, die Kluge. Shila, die erst siebzehn Frühlinge alt ist. Die Trennung von ihr ist für mich unerträglich.

(Die Szene wechselt)

 

2. Szene

 

(Feier in der Schule von Schila. Man hört ein Schlager.

Seth Manakram kommt herein zusammen mit seinem Sekretär Tularam.  Alle Leute stehen auf von ihren Plätzen. Einige Kinder und Lehrer begrüssen ihn.
Die Schuldirektorin Mrs. Jattely empfängt ihn und bittet ihn
zum Podium. Zwei Schüler begleiten ihn zum Podium.)

Direktorin:
Liebe Kinder und Eltern, heute hat eine sehr große Persönlichkeit der Stadt Seth Manakram Gupta, der Direktor von Firma Manakram Private Limited, uns die Ehre erteilt, unser 'Queen Mary College' zu besuchen. Herr Manakram Gupta ist heute unser Hauptehrengast.

(Alle Leute grüßen ihn mit Beifall.)

 

Direktorin: (zu Manakram)
Seth ji, diesmal hat unsere Schule bei der Geldsammel-Aktion in der Stadt den 1. Platz belegt. Innerhalb eines Monates haben wir zwanzigtausend Rupien für die Opfer der Überschwemmungen gesammelt und sind damit dem Appell der Regierung um Hilfe entgegengekommen.

(zu allen)

Allein Seth Manakram hat zehntausend Rupien gespendet. Herr Manakram, der nicht nur ein sehr reicher Mann und großer Fabrikant ist, besitzt auch ein großes Herz. Um die Kranken zu helfen, hat er einen großen Pharma-Konzern gegründet und produziert großartige Medikamente. Wenn es noch mehr solche Menschen gibt, werden viele Probleme unseres Landes gelöst."

(Leute grüßen ihn mit Beifall und Rufen.)

Direktorin:
Seth ji ist der Vater einer der besten Schülerin unserer Schule, Fräulein Schila Gupta, aus der 12. Klasse. Auf ihre Bitte hin hat Seth ji diesen Scheck geschrieben.
(Zeigt)  Zehntausend Rupien von Herrn Manakram Gupta. Für den Hilfsfonds des 'Queen Mary College'.
(zu Shila)...Komm her meine Tochter!

(Shila geht zum Podium und umarmt ihren Vater)

Direktorin:
Bevor ich unseren Ehrengast zu Worte bitte, möchte ich die Kinder bitten, ein Lied zu Ehren Herrn Manakram Gupta zu singen.

(Die Kinder singen zusammen mit Schila)

Direktorin:
Liebe Eltern, Herr Manakram Guptaji,
in diesem Jahr hat unsere Schule sehr gute Ergebnisse gehabt. Fünfzig Prozent der Schüler haben in der 10. Klassse bestanden. Dreißig Prozent haben im Abitur bestanden. Nur 10 Prozent Schüler wurden von der Prüfung wegen Kopierens ausgeschlossen.
Diese guten Ergebnisse sind besonders dem Lehrer Herrn Prakasch Mehta zu verdanken. Deshalb bitte ich den Ehrengast Herr Manakram Gupta den Lehrer Prakasch Mehta diesen Preis zu übergeben.

(Prakasch Mehta kommt hastig zum Podium. Eine Lehrerin bringt die Blumen und eine andere den Pokal zum Podium. Manakram nimmt schnell das Mikrofon in seine Hand.)

 

Manaram:
Lassen Sie mich erst meine Rede halten...
Liebe Kinder, liebe Eltern, liebe Lehrerinnen und Lehrer die Ausbildung bekommt man von seinen Eltern, Ausbildung bekommt man von seinen Lehrern. Ausbildung
ist in den Vedas, Bildung ist in den religösen Büchern. Bildung ist in Koran und Bibel, in den Lehren der großen Menschen...

1. Schüler:
In den Dialogen von Shah Rukh Khan!

2. Schüler:
In den Liedern von Lata Mangeshkar!

1. Schüler.
Bei Michael Jackson...

(sie lachen)

Manakram:
Ausbildung ist überall...sie findet man...

(Tularam geht zu Manakran und flüstert ihm etwas zu)

Manakram:
Nun, was wollte ich sagen...Ausbildung kann man in allen Sachen finden..überall...
Ich verspreche euch, daß derjenige Schüler vom Queen Mary College, der die besten Ergebnisse hat und später Wissenschaftler werden wird, der erhält in meinem Pharmazeutischen Betrieb eine gute Stelle... Und Frau Direktorin, Frau Jattely, ich werde Ihnen für das Labor ihrer Schule eine Spende von 20tausend Rupien geben, weil ich überzeugt bin, daß die Kinder die Zukunft unseres Landes sind. Unsere Fabriken brauchen ihre Talente...
Und Herr Lehrer, Mr. Mehta, kommen Sie hierher und nehmen Sie ihren Preis...nehmen Sie den Pokal...und die Blumen...

Direktorin:
Wie nett ist Herr Manakram Gupta, wie großzügig...
Dieses Labor unserer Schule wird den Namen von Herrn Manakram Gupta tragen...
(alle klatschen)

Direktorin:
Nun wollen die Kinder unserer Schule ein Lied mit einem Tanz vorführen.

(Die Kinder singen und tanzen.
Die Szene endet.)

 

3. Szene

 

(Seth Manakrams Wohnzimmer. Im Zimmer die gleichen Möbel wie bei der 1. Szene. Manakram hockt auf seinem Sofa.
Im Fernsehen werden die Nachrichten gesendet).

Nachrichtensprecher:
Der Gomti zeigt sich in seiner ganzen Leidenschaft und Grausamkeit. Zerstörung herrscht innerhalb und außerhalb der Stadt. Grüne frische Felder werden von dem Wasser fortgerissen. Hohe Gebäude fielen zusammen. Tausende Hütten schwammen wie Hölzchen auf den nach Menschenblut dürstenden Wellen. Jahrhunderte alte Kultur sinkt in den Schmutz. Zentren der Wissenschaft, der Zivilisation werden zerstört.

(Seth Manakram steht auf und fängt in seinem Zimmer hin und her zu laufen.)

Nachrichtensprecher:
Die Krankheiten verbreiten sich überall. Die Cholera nimmt von der Stadt Besitz. Die
Krankenhäuser reichen nicht aus, die Leichen verwesen in den Häusern.

Die schönen Straßen, von Dichtern besungen, sind voller Leichengestank. Es gibt keine  Leichenwagen, keine Leichentücher, keine Bestattung! Nur den Tod gibt es, der über der Stadt schwebt.

Tularam (zu Manakram):
Sehen Sie, Herr...Ihre Medikamente werden überall gebraucht. Sie sind jetzt nur im Schwarzhandel zu bekommen mit zweifachen, dreifachen, vierfachen Preisen.

Manakram:
Aber Seth Chokhar Mal, Seth Lalloo Das, Lala Kalloo Ram und Seth Nabiullah erzielen noch mehr Profite.
Alle Medikamente, die von außerhalb kommen, gehen
zuerst in ihre Magazine.

Tularam:
Trotzdem ist Ihr Profit nicht klein, Herr. Schauen Sie, die Preise Ihrer Medikamente stiegen zuerst auf das Doppelte, dann auf das Dreifache, dann
auf das Vierfache. Wir produzieren jetzt sogar billigere Medikamente mit weniger Stoffe.

Nachrichtensprecher:
Die Menschen sterben. Überall herrschen die Überschwemmungen und die Krankheiten.

Manakram:
Unsinn, er selbst hat Anzug und Krawatte an und redet von Hungrigen und Nackten...

Tularam:
Schauen Sie!  Es wird in allen englischen, Hindi und Urdu Zeitungen geschrieben, daß der berühmte Retter der Menschheit, Seth Manakram 10tausend Rupien dem Hilfsfonds gegeben hat und er hat beschlossen, noch einen pharmazeutischen Betrieb zu errichten, um die Menschheit zu retten.

Manakram:
Sie haben bestimmt die Nachricht von der Schule Schilas bekommen.
Du hattest Recht Tularam, die Spende hat mehr Kraft als 10tausend Wahlhelfer.
Die Spende und die Medien, das wird jetzt unsere Taktik in den kommenden Wahlen sein.
Tularam, laß noch einen Tempel bauen und gib noch etwas Geld für eine Moschee. Wir sollten alle gewinnen...
Warum ist Schila noch nicht zu Hause? Was ist los? Es wird Abend...

Tularam:
Sie wollte Fäulein Ramola besuchen. Ihr Vater ist krank. Er hatte Durchfall und Erbrechen...

Manakram:
Was! Warum hast du mir das nicht vorher erzählt? Warum hast Du sie dort gehen lassen?

Tularam:
Sie wird bald kommen, Herr. Es ist erst 7 (19) Uhr....
Herr, darf ich jetzt nach Hause gehen, meine Frau wartet?

(Seth Manakram bewegt sich im Zimmer hin und her und geht zu einer Statue der Göttin,die in einer Ecke steht. Er verbeugt sich vor ihr.
Es wird für eine Sekunde dunkel und dann langsam hell.)

(Shila kommt herein)

Shila:
Vater, Vater, er ist nicht mehr da! Ihr Vater ist nicht mehr...Sie ist jetzt eine Waise geworden...er ist nicht mehr da...

Manakram:
Wer ist nicht mehr da? Wer ist Waise geworden? Was redest du Schila? Wo warst du solange? Ich habe mir große Sorgen gemacht...

 

Shila:
Ramola ist eine Waise geworden, Vater. Ihr Vater ist gestorben...(weint). Er lag auf dem Bett...seine Augen starten mich an...wollten was sagen...alle weinten dort...Ramolas Leben ist vernichtet...
Wie glücklich war sie neulich. Wir waren beide gemeinsam zur Schule gegangen und zeigten allen unseren Scheck, deinen Scheck, den Du dem Hilfsfonds der Schule gegeben hast...Alle hatten uns gelobt...Dich zu einer Sonderfeier der Schule als Ehrengast eingeladen...großartig empfangen...Dann hatte ich sie nach Hause begleitet. Ihre Eltern hatten mich gesegnet.
Aber heute...(umarmt Manakram und weint heftig)...als ich Ramola abholen wollte, weinte sie. Alle weinten dort...Ihr Vater lag auf einem Bett...der Arzt konnte ihn nicht helfen, konnte ihn nicht retten...Er hatte Cholera, Daddy...Er hatte Durchfall und Erbrechen. Er ist gestorben, Daddy...er ist gestorben...Er starrte mich an...Die Augen der Leiche starrten mich an...sie folgen mir immer noch, Daddy...sie verfolgen mich...

(Shila umarmt ihren Vater fest und weint heftig. Die Bühne wird dunkel. Man hört eine traurige Melodie im Hintergrund)

(Die Szene wechselt)

 

4. Szene

 

(Shila liegt auf dem Bett. Vier Ärzte stehen um sie herum. Auf einem Tisch liegen Medikamente und Spritzen.)

Manakram (zu Dr. Sharma) :
"Doktor, nimm mein ganzes Geld, aber rette mein Kind. Rette sie, Doktor, im Namen Gottes!"

Tularam (zu Manakram):
Herr, in allen Tempeln, die Sie gebaut haben, wird für Shilas Gesundheit gebetet. Es wird  Essen an die Bettler verteilt.

 

Manakram (zu den Ärzten):
Ihr seid vier berühmte Ärzte der Stadt...Dr. Sharma, Dr.Narendra, Dr.Mubin und
Dr. Santok. Ihr könnt doch etwas tun...Noch vor kurzem hattet ihr gesagt:
Es ist ein einfacher Fall von Cholera, sie wird bald wieder gesund sein.
Aber das Erbrechen und der Durchfall wurde immer schlimmer. Sie wurde immer schwächer.  Sie kann nicht einmal die Augen aufmachen. Ich verliere sie Doktor. Warum Doktor, warum? Warum könnt ihr nicht helfen? Mein Leben wird dunkel. Meine Lieblingstochter wird für immer von mir gehen. Shila, der Inhalt meines Lebens. Shila, für die ich die Schönheiten des Universums gesammelt habe.
Sie, die einzige Erbin meines Reichtums.

(Manakram holt sein Scheckheft vom Schrank und reicht es Dr. Sharma)

Manakram:
Bei Gott, rette mein Kind, Doktor, rette sie! Ich kann ohne sie nicht leben. Nimm mein ganzes Geld, aber rette sie!

(Manakram schüttelt den Arzt als sei er wahnsinnig geworden. Die Spritze in Dr.
Sharmas Hand wäre beinahe zu Boden gefallen. Mit leeren Augen starrt er auf
Shilas leblosen Körper. Dr. Mubin flüstert Dr. Scharma etwas zu. Der nimmt eine Flasche Medizin und betrachtet sie lange. In seine gleichgültigen Augen treten Funken. Alle vier Ärzte werfen einander bedeutsame Blicke zu. Dr. Sharma reicht Manakram die Flasche.)

Dr. Sharma:
Diese Medizin ist unwirksam, wir sind hilflos!

(Dr. Narendra läßt den Puls der Kranken los. Dr. Mubin nimmt das Stethoskop von ihrer Brust und Dr. Santok bedeckt ihr Gesicht. Alle vier Ärzte treten mit gesenkten Köpfen zurück.)

(Es ist Totenstille im Raum. Nur dann und wann hört man das unterdrückte Weinen
der Diener und die traurige Musik im Hintergrund).

(Szenenwechsel)

 

5. Szene

 

(Manakrams Zimmer. Auf dem Fernsehen gibt es ein interessantes Musikprogramm. Manakram sitzt an seinem Schreibtisch. Vor ihm liegen Bündel von Geldscheinen.
Er zählt das Geld. Munshi Tularam liest die Nachrichten aus den Zeitungen.)

Tularam:
In der Stadt Gorakhpur hat ein Affe ein Kind in seiner Gewalt genommen.
In Djhansi hat eine Frau fünf Kinder geboren. Eine Ziege hat ein Äffchen geboren...
In Holland hat ein 15jähriges Mädchen einen siebzigjährigen Mann geheiratet...Es gibt einen großen Tsunami im Indischen Ozean, mehrere Inseln sind versunken...Auch in Südindien gibt es eine Tsunami-Katastrophe. Viele Menschen sind gestorben. Es gibt viele neue Krankheiten...In den USA sind mehrere Banken bankrott geworden...Die Preise von Öl steigen wieder auf...

(Unbekümmert von den Nachrichten zählt Manakram seine Geldscheine weiter. Ihm ist so als ob ein Regen von Geldscheinen und Münzen ihm umgibt.)

Manakram (zu Tularam):
Ein, zwei, drei, vier...Vier Scheine sind wahrscheinlich falsch.   

Tularam:
Schauen Sie, Herr! Die Zeitung schreibt, daß die Namen der Kandidaten für Zentralparlament, von Uttarpradesch, heute Abend bekanntgegeben werden... die Namen vom Mangal Prasad, Suman Sharma, Hadji Munne Khan und noch von einigen  stehen schon fest...

Manakram:
Lese weiter! Was steht noch da?

Tularam:
Für die übrigen Namen gibt es Streit in der Koalition...Die Sitzung wird bis heute Abend fortgesetzt. Auch Ihr Name...

Manakram:
Lese die ganze Nachricht...!

Tularam:
Ihr Name wird auch erwähnt...!

 

Manakram:
Ich möchte doch nur dem Volk dienen....Ich möchte, daß die soziale Lage in unserem Land endlich verbessert wird...Das für die Gesundheit etwas mehr getan wird...für die armen Menschen!

Tularam:
Herr, Sie werden überall im Lande gelobt.
Schauen Sie, alle Zeitungen in den verschiedenen Sprachen schreiben von Ihren guten Taten.
Die Glocken der Tempel, die Sie gebaut haben, sind weit zu hören.
Die Medikamente Ihrer Fabrik sind im ganzen Land verbreitet. Herr, wir sollten sie auch ins Ausland exportieren...Unsere Preise werde niedriger sein als die europäischen Medikamente...Wir können konkurieren...auch in Europa herrschen. Wir werden viel profitieren...

(Manakram beschäftigt sich wieder mit seinen Geldscheinen)

Tularam (liest aus einer Zeitung):
Ein berühmter Schauspieler aus Hollywood ist an Aids verstorben. Herr, an Aids...

Manakram:
Unsinn! Wie kann man an 'Hilfe' sterben...An Aid, ich meine durch Hilfe lebt man länger...wird man geholfen...Um Aid bitten alle Menschen!

Tularam:
Nicht Hilfe, Herr...Aids. Aids ist eine Krankheit, eine gefährliche Krankheit, eine unheilbare Krankheit...

Manakram:
Dann produzieren wir die Medikamente für Aids. Wir könnten viel Profit machen.

Tularam:
Daran sind viele große Firmen der Welt beschäftigt! Die Konkurrenz ist sehr stark...Es wird nicht viel lohnen...

Manakram:
Dann schaffen wir eine neue Krankheit!  Neue...modernere. Malaria, Pocken, Cholera sind alle alt geworden..

Tularam:
Vogelgrippe und Schweinegrippe sind auch nicht mehr neue...

Manakram:
Dann schaffen wir Eulengrippe, Eselgrippe...produzieren Eselgrippe...Es gibt viele Esel in der Welt...auch bei uns gibt es nicht wenige..

 

Tularam:
Diese Krankheit gibt es noch nicht in der Welt.

Manakram:
Da es so viele Esel in der Welt gibt, soll es auch Eselgrippe geben!

Tularam:
Ja Herr, es gibt kaum Unterschiede zwischen Mensch und Esel.
Wir werden in allen Zeitungen lange Artikel drucken lassen. Wir werden die Medien dazu nutzen.

Manakram:
Tularam, laß alle Zeitungen schreiben, daß derjenige Wissenschaftler, der den besten Artikel über Eselgrippe schreibt, großartig belohnt wird. Und es wird ein neues Labor eingerichtet 'Dunkey Flu Labratory', Eselgrippe-Labor.

Tularam:
Wir werden unsere Medikamene patentieren. Damit niemand diesen Namen mißbrauchen kann. Wir werden das Monopol bis London, Moskau und Washington haben. Nur Ihr Name wird überall herrschen: Manakran & Sons Private Limited.

Manakram:
Viele Esel werden uns brauchen!

Tularam:
Unser Medikament wird heißen: 'Dunkey Psycho Manak Flu Pills'.

Manakram:
Was meist du mit Psycho-waiko...?

Tularam:
Mein Herr, eine besondere Pille für geistige Krankheit der Esel. Sie wird Ihren Namen tragen. Damit niemand sie mißbrauchen kann...'International Dunkey Psycho Flu Pills' von der Firma Manakram Private Limited.

(Im Fernsehen werden die Nachrichten weiter gelesen.)

Nachrichtensprecher:

Im Osten von Utterpradesh ist eine seltsame Krankheit ausgebrochen. Viele Leute sind durch Gehirnfieber gestorben...In Assam und Bengal sind Millionen Menschen durch Überschwemmungen obdachlos geworden und viele neue Krankheiten haben sich ausgebreitet. In Punjab ist Sand im Weizenmehl entdeckt worden. Mehrere Geschäftsleute wurden verhaftet. Im Parlament haben sich die Vertreter der Regierung und Opposition gegenseitig beschimpft und geprügelt...

 

(Manakram zählt seine Geldscheine weiter.
Das Telefon klingelt. Tularam nimmt das Telefon in seine Hand.)

Tularam:
Ja bitte, ja, ja, bitte, ja bitte, sofort...(zu Manakram)
Es ist von der Parteizentrale, für Sie...

Manakram:
Gib mir, schnell!  ...
Ja Herr, Namaste! Ja, Ja, Ja.  Ja bitte. Ich bin zu Euren Diensten...gleich...ich komme gleich...sofort...

(Setzt sich hin. Nervös, hält er seinen Kopf mit beiden Händen.
Tularam wird nervös. Er will ihm ein Glas Wasser geben.
Plötzlich springt Manakram von seinem Platz.)

Manakram:
Tularam, ich kandidiere für die Wahlen des Loksabha, für Zentralparlament ...Es ist schon entschieden...Laß die Süssigkeiten in den Tempeln verteilen...laß das Essen an die Bettler verteilen...Laß uns eine neue Fabrik für Medikamente errichten...
Medikamente...!
Tularam, laß das ganze Haus schmücken und mit bunten Lichtern versehen!

(Es treten einige Frauen und Männer herein.)

Frauen und Männer:
Gratulation, Herrn Seth ji, herzliche Glückwünsche...Sie haben die Kanditur bekommen. Sie werden Abgeordneter, Mitglied des Zentralenparlament...Wie glücklich ist unser Land...Long live Seth Manakram! "Seth Manakram ji kii Jaye."
'Hoch sollst du leben, hoch sollst du leben...'

(Sie legen Blumenketten um den Hals von Manakram, legen einen Punkt auf seine Stirn, spielen Musik und singen ein lustiges Lied.)

(Szenenwechsel)

 

6. Szene

 

(Manakram liegt auf einem Sofa. Er ist eingeschlafen und träumt von seiner Tochter.)

Shila (als ein kleines Mädchen) sitzt auf seinem Rücken und läßt ihn wie ein Pferd im Zimmer umherlaufen...Dann steigt sie herunter und beginnt mit den Puppen und mit dem Spielzeug zu spielen...
Dann erscheint sie als 10jähriges Mädchen .
Sie hat ein Geburtstagskuchen vor sich. Einige Kinder singen: 'Happy birthday to you'...
Dann sieht man sie als erwachsenes Mädchen von 14/15 Jahren. Sie umarmt Manakram:

Shila:
Wo ist meine Belohnung Vater? Ich habe eine Eins in der Prüfung für die 10. Klasse bekommen.
(Shila verschwindet und erscheint wieder.)

Shila:
Was ist geboren worden, Munschi?

(Die Zeitung wandert aus den Händen Munschi's in die ihren).

Shila:
Ach wunderbar, Vater! Die Zukunft unseres Landes muß unbedingt in seinen Händen liegen...
Da er vier Köpfe hat, muß er auch einen vierfachen Geist haben. Ein Geist wird Ost-, der andere
West-, der dritte Nord- und der vierte Süd-Geist. Und damit wird er das ganze Land in Bewegung bringen und tanzen lassen. Mit vier Paar Händen wird er vier verschiedene Arbeiten verrichten.
Mit vier Augenpaaren wird er dieselbe Sache aus vielen Winkeln sehen, und mit vier Zungen wird er vier Reden gleichzeitig halten.
Ich stelle mir vor, Vater, dieses Kind wird unser Land in Ordnung bringen, nicht wahr, Munschi!

(Sie verschwindet wieder.)
(Manakram wird im Schlaf sehr unruhig.  Man hört im Hintergrund ein Lied von Shila. Singend kommt sie zu Manakram und steht neben seinem Bett. Plötzlich wird Manakram wach.)

Manakram:
Shila, meine Tochter...

 

(Er versucht sie in seinen Armen zu nehmen, aber sie ist verschwunden. Manakram ist wach geworden)

Manakram:
Shila. Geh nicht meine Tochter!

(Geht zu ihr Bild, das an der Wand hängt.)

Manakram:
Warum hast du deinen Vater verlassen. Seit einem Jahr vermisse ich deine Stimme. Niemand ruft mich mit ´Vater`, niemand umarmt mich mit Liebe. Manchmal wenn ich schlafe, sehe ich dich an meiner Nähe, neben meinem Bett. Aber wenn ich dich umarmen will, dann verschwindest du und ich finde Tränen an meinem Kopfkissen. ...Warum hast du mich verlassen, meine Tochter?...Mich allein gelassen...Was soll ich jetzt mit diesem Gebäude, dieser Fabrik, vielen Autos und Reichtum machen...
Weiß du, in einem Jahr habe ich in deinem Namen drei Tempel bauen lassen, und der vierte ist noch im Bau. Der größte Tempel der Stadt 'Shila Tempel...und...und...
(weint)...

Shila:
Aber noch heute enthalten deine Medikamente die gleichen Mischungen Vater, noch heute produziert man in deinen Betrieben unwirksame Injektionen und sie werden teuer verkauft. Damit wird das Geld verdient. Die Profite steigern immer weiter...zweifach, dreifach, vierfach...Die Menschen sterben. Es gibt Überschwemmungen, Krankheiten, das Elend und Jammern der Frauen und Kinder, überall Zerstörungen und Tod....Aber die Profite steigen immer weiter Vater, zweifach, dreifach, vierfach, zehnfach.
Ja, es gibt nur einen Unterschied Vater. Vorher warst du ein liebevoller Vater, ein Mensch...dann wurdest du ein großer Geschäftsmann...dann ein Abgeordneter ...und jetzt siehst du dich als Minister für Gesundheit...

(Shila's Geist verschwindet.)
(Manakram ist schwindlig, alles dreht sich um ihn und er hört die Stimmen.)

Abgeordneter, Minister, Profit, Geld. Überschwemmungen,Krankheiten...Tempel, Geld, Geld, Ehre, Ehre, Profit, zweifach , dreifach, vierfach, Spende, Elend, Leichen, Krankheiten,Geld...Geld...Geld...!

Manakram (ruft):
Shila...meine Tochter...!
(Es wird dunkel auf der Bühne)

-Ende-

 

( Auf der Grundlage der Erzählung "Eins zu vier" von Arif Naqvi in der
Zeitschrift: Neue Deutsche Literatur, Berlin 1964)


Arif Naqvi
Rudolf-Seiffert-Str. 60
10369 Berlin
Tel: 030- 9725036
E-mail: naqviarif@yahoo.com

 

 


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